Stellungnahme der S4F Hessen+ zu den Eckpunkten der Koalitionsverhandlungen in Hessen 2023

Sigita Urdze, Alexander Basse, Roland J.-R. Bednarz, Nadja Hellmann, Sven Linow, Gerald
Moser, Lea Schneider, Anke Uhl, Georg Sebastian Völker, Doris Vollmer und Axel
Wolfermann ()

20. November 2023

Am 10.11.2023 haben CDU und SPD in Hessen verkündet, Koalitionsverhandlungen für die Bildung der neuen Landesregierung aufzunehmen. Dazu wurde ein Eckpunktepapier veröffentlicht, das im ersten Absatz die Herausforderungen unserer Zeit benennt1. Die Klimakrise, die anstehende Umsetzung der gesetzlich verbindlich verankerten Maßnahmen zum Klimaschutz, und die dringend erforderliche Klimaanpassung werden an dieser Stelle nicht genannt. Erst im neunten Punkt widmet sich das Papier den Themen „Energie, Klima- und Umweltschutz“. Die ebenfalls dringend erforderliche Klimaanpassung findet im Eckpunktepapier keinerlei Erwähnung, auch nicht im Bereich Gesundheit. Die Scientists for Future Hessen sehen diese Einordnung des Themas Klimawandel mit großer Sorge.


Der Klimawandel schreitet rasant voran. Sowohl der September als auch der Oktober 2023 waren in Deutschland die wärmsten seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen2. Global gesehen war der Oktober bereits der fünfte Monat in Folge, in dem die Monatsmitteltemperatur neue Höchstwerte erreichte3. Hier in Hessen stehen die Wasserversorgung, und damit die Forst- und die Landwirtschaft vor großen Ungewissheiten. Bei Fortschreiten des Klimawandels und der damit einhergehenden polwärts Verschiebung der Klimazonen sowie einer massiven Zunahme von Extremwetterereignissen könnten große Teile des hessischen Waldes zur Macchie, einer degradierten mediterranen Gebüschlandschaft, umgewandelt werden. Land- und Forstwirtschaft in der heutigen Form würden auf vielen Standorten unmöglich4.

Im Jahr 1990 betrugen die pro-Kopf-Emissionen in Hessen etwa 9 Tonnen CO2e, 2019 waren es noch 6,2 Tonnen CO2e5. Bei diesem Reduktionstempo wäre die Klimaneutralität in Hessen erst Mitte der 2070er Jahre zu erreichen. Dies widerspricht den Zielen der Bundes- als auch der Hessischen Landesregierung (Neutralität 2045). Laut Analyse des Sachverständigenrats für Umweltfragen braucht es für eine Klimaerwärmung von 1,5°C mit 50% Wahrscheinlichkeit eine Netto-Klimaneutralität schon Anfang bis Mitte der 2030er Jahre6. Für eine mit dem Abkommen von Paris kompatible Transformation braucht es somit eine Beschleunigung der Treibhausgasreduktion und daher entsprechende politische Anstrengung.

Im Eckpunktepapier von CDU und SPD findet sich aber keine klare Strategie, wie hier ein schneller Erfolg erzielt werden kann. Im Gegenteil, es erfolgt nur ein eingeschränktes Bekenntnis zu den geltenden Klimazielen, nämlich ein Bekenntnis zu geltenden europäischen und zu gerade abgeschwächten Zielen der Bundesgesetzgebung. Zugleich bleibt unklar, wie selbst diese Ziele eingehalten werden sollen, da die Angaben hier vage bleiben. Im Widerspruch zu ambitioniertem Klimaschutz zählt das Eckpunktepapier gar Festlegungen auf, die Klimaschutz deutlich erschweren (z. B. Ausschluss von generellen Tempolimits, Festlegung auf die Fortsetzung von Ausbauprojekten von Autobahnen).

Obwohl die Themen Holz- und Landwirtschaft explizit angesprochen werden, und sogar ein neues Ministerium gegründet werden soll, werden die aus der Klimakrise erwachsenden zukünftigen Herausforderungen nicht erwähnt. Hier, wie auch in Bezug auf andere Eckpunkte, wird nicht ersichtlich, dass das Thema Klima als ein übergeordnetes Thema betrachtet wird. Bei Themen wie Erschließung von Neubaugebieten und Ausbau von Autobahnen und Straßen müssten z.B. die Konsequenzen der damit einhergehenden Flächenversiegelung mitgedacht werden, in Bezug auf Wasserversorgung, vermehrte Hitzeentwicklung und Biodiversitätsverlust. Stattdessen wird jedes Thema separat für sich behandelt. Ein Wandel in der politischen Strategie des Krisenmanagements ist nicht erkennbar, stattdessen erweckt das Papier den Eindruck des Weiter-wie-bisher. So werden Treibhausgasneutralität und der Schutz der Menschen vor dem sich ändernden Klima in ferner Zukunft bleiben, verstärkt durch das Fehlen ambitionierte Ziele in Bezug auf den Ausbau erneuerbarer Energien.

Es steht zu befürchten, dass Klimaschutz und Klimaanpassung nicht auf einem Ambitionsniveau angegangen werden, das aus wissenschaftlicher Sicht oder im Sinne einer verantwortlichen Politik oder für eine minimale Form von Generationengerechtigkeit erforderlich ist. „Eine mutige Koalition, die Debatten in die Mitte holt und sie führt, anstatt sie zu verdrängen“ – so heißt es im Eckpunktepapier. CDU und SPD sollten den Mut haben, gerade die Debatte um Klimaschutz und Klimaanpassung als zentrale Herausforderungen für den Fortbestand des Wohlstands, der Freiheit7, der Sicherheit, der Gesundheit und des Lebens aller Menschen in Hessen zu führen.

  1. https://www.cduhessen.de/data/documents/2023/11/10/2835-654e288a21fe2.pdf ↩︎
  2. https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2023/20230929_deutschlandwetter_september2023.pdf
    https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2023/20231030_deutschlandwetter_oktober2023_news.html ↩︎
  3. https://climate.copernicus.eu/2023-track-become-warmest-year-after-record-october ↩︎
  4. https://www.nature.com/articles/nclimate1687 ↩︎
  5. Umweltökonomische Gesamtrechnungen der Länder, https://www.statistikportal.de/de/ugrdl/ergebnisse/gase#alle-ergebnisse ↩︎
  6. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf ↩︎
  7. Klimabeschluss des BVerfG vom 21.05.2021. ↩︎