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Rückblick auf unsere Podiumsdiskussion „Follow the Science? Wissenschaft in Multikrisenzeiten”
„Follow the science – ist das noch eine Frage oder eher ein Imperativ?“ war eine der ersten Fragen, die die Moderatorin Isabell Zipperle an das Podium stellte und somit eine gut zweistündige Diskussion eröffnete.
„Es war wunderbar. Entspannt aber spannend: informativ, aber nicht eskalativ und vor allem mitnehmend.“ So schrieb es corry360 noch am Veranstaltungsabend (12.10.2023) über unsere Scientists for Future Mainz/Wiesbaden Podiumsdiskussion „Follow the Science? Wissenschaft in Multikrisenzeiten“ bei Instagram.
Die knapp 400 Besucher:innen im Hörsaal und rund 1000 vor den Bildschirmen im Livestream stimmten zu gut 2/3 für eine Wissenschaft, die politisch sein darf. „Als Scientists for Future sind wir politisch, aber nicht parteiisch“, erklärte Moderator Roland Bednarz von S4F Mainz. Sebastian Seiffert, Professor für physikalische Chemie an der Universität Mainz und ebenfalls Mitglied der S4F Mainz, stimmt zu: „Wissenschaft sollte nicht politisch sein. Aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürfen sich gerne mehr politisch engagieren.“
Sebastian zitierte Robert Swan – Polarforscher und Umweltschützer – mit den Worten „Die größte Gefahr für den Planeten ist die Annahme, jemand anderes würde ihn retten.“
„Was jetzt? Und nicht: Was war und wer war schuld?“
Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, forderte jede:n von uns auf, kritisch nachzudenken, wenn wir uns im Alltag unterhalten: „Wir Menschen sind Geschichten erzählenden Wesen – bei den Geschichten, die wir uns erzählen, werden Werte ausverhandelt.“ Die Vertreterin des konstruktiven Journalismus nahm auch die Eingangsdebatte noch einmal auf: „Politik, da sind wir bei N > 2, ist, wenn Menschen zusammenkommen. Wenn wir über Klimaschutz reden und wissen: Der Begriff ist politisiert und links, dann haben wir direkt schon ein Riesenproblem. Also lasst uns doch lieber darüber reden: Wie wollen wir eigentlich zusammenleben?“ Daher ist ihre Maxime: „Was jetzt? Und nicht: Was war und wer war schuld?“
„Wenn sich Journalist:innen gemein machen mit der Klimakrise, denken sie ganz anders darüber; weil sie die Fakten kennen, weil sie aufgeklärt und gebildet sind.“
„Welche Rolle spielt Wissenschaft im 21. Jahrhundert?“ Die Publikumsantworten auf diese Frage haben zusammengestellt in einer Wortwolke ein so kleinteiliges Bild ergeben, dass wir uns in der Darstellung auf die am häufigsten genannten Begriffe beschränkt haben: Aufklärung, Kommunikation, Bildung und Innovation. Özden Terli, Meteorologe und Wettermoderator beim ZDF, nahm Medienschaffende und Journalist:innen mit in die Verantwortung: „Wenn sich Journalist:innen gemein machen mit der Klimakrise, denken sie ganz anders darüber; weil sie die Fakten kennen, weil sie aufgeklärt und gebildet sind.“ Damit nimmt er eine Gegenposition zu einem Zitat von Hans-Joachim Friedrich ein, das häufig in einer Journalist:innen-Ausbildung verwendet wird: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
„Sich trauen, ehrlich hinzugucken,
sich vertrauen, dass aus dem Sehenden auch neue Ideen entstehen und
sich erinnern, was uns Menschen ausmacht“
Maja Göpel, Politökonomin, Transformationsforscherin, Honorarprofessorin an der Leuphana-Universität und Mitbegründerin von S4F, sieht es als die Aufgabe aller, die Klimakrise als solche zu begreifen und sich immer wieder klarzumachen, dass erst nach dem Wandel durch effektiven Klimaschutz eine neue Balance gefunden werden kann. So vereinten Road Maps, der European Green Deal oder die intendierte Hilfestellung des Verfassungsgerichtsurteils eins: „Sie beschreiben unser Ziel, wo wir hinwollen, als wünschenswert. Der Weg dahin ist jetzt einmal anstrengend, aber, wenn die Mehrheit mitzieht, dann kriegen wir das auch hin. Deswegen war das Klimaschutzgesetz auch genial.“ Über neueste politische Entwicklungen, die den eingeschlagenen Weg zur Klimaneutralität torpedieren, zeigte sich die Politökonomin entsetzt: „Es ist total bescheuert, dass die Sektorziele wieder rausgenommen werden,“ wofür Maja Göpel großen Zustimmung aus dem Publikum erhielt. Ihre drei Zutaten für uns, die unsere Gesellschaft in eine resilientere Zukunft führen: „Sich trauen, ehrlich hinzugucken; sich vertrauen, dass aus dem Sehenden auch neue Ideen entstehen und sich erinnern, was uns Menschen ausmacht – das unfassbare Potential zum Imaginieren, zum Vorstellen, zum Kreativ-Lösungen-Finden.“
„Herz und Hand, weniger Gräben und mehr Brücken, weniger Konkurrenz und mehr Kooperation, weniger Eigen und mehr Verantwortung! Es braucht uns alle.“
Sebastian Seiffert benennt Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstitutionen als wichtigen Player im Bereich Klimaschutz und Klimawandelanpassung: „Dort kommen tolle Menschen zusammen und dort entstehen von selbst Keime für Neues. Diese Keime brauchen einfach Wachstumsbedingungen. Ein Beispiel an der Uni Mainz ist das Zukunftsmodul. Es ist sehr interdisziplinär und wahnsinnig erfolgreich.“ Das Zukunftsmodul ist ein Programm zur ganzheitlichen Klimabildung für Studierende aller Fachrichtungen und Co-Ausrichter der Veranstaltung. Nach der erfolgreichen interdisziplinären Vorlesungsreihe „Visions for Climate“ startet am 23.10.2023 die neue Reihe „Voices for Climate“ mit Luisa Neubauer, Prof. Hans-Joachim Schellnhuber und vielen weiteren spannenden Vortragenden. Die Anmeldung ist online möglich. Die Montagabende sind auch im Livestream verfolgbar. Sebastian ordnet den Erfolg des Zukunftsmoduls ein: „Es ist entstanden auf Initiative einer Hand voll Studierender. Die Vorgängerveranstaltung war die Public Climate School – zu härtesten Coronazeiten: Ein Riesenerfolg.“ Die Folge zeichnete sich ab: Es entstand das Zukunftsmodul. „Es ist inzwischen zu einem Aushängeschild unserer Hochschulleitung geworden.“ Auch an dieser Stelle können diese Einrichtungen Vorreiter sein, z. B. im Flugverkehr: Er sieht in einem Positionspapier der Deutsche Forschungsgemeinschaft einen klaren Appell an sich, als Leiter eines Sonderforschungsbereiches; und es ist zu erwarten, dass in zukünftigen Anträgen dazu Stellung genommen werden muss: „Wir werden [zu Emissionsreduktion, etwa durch Flugverzicht] etwas schreiben müssen. Wäre schöner, wenn wir schreiben könnten: Das haben wir eh schon von Anfang an gemacht. Das [DFG-Positionspapier] ist ein institutioneller Support.“
Der Chemiker ordnete die gesellschaftliche Entwicklung in die Reihe unserer Podiumsdiskussionen ein: „Wenn ich mir das gesellschaftliche und physikalische Klima angucke, wird mir manchmal angst und bange. Vor unserem letzten Podium hieß es: Wir werden die 1,5 Grad in den nächsten fünf Jahren temporär überschreiten. Vor diesem Podium [nur ein Jahr später] gab es die Meldung, dass wir dieses Jahr die 1,5 Grad temporär überschreiten werden – bei gleichzeitig besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich finde wichtig, mir klarzumachen, dass das nicht so kommen muss; dass wir alle Akteure sind, die Beiträge dazu leisten können, in welche Richtung die Reise geht, aber das braucht: Herz und Hand, weniger Gräben und mehr Brücken, weniger Konkurrenz und mehr Kooperation, weniger Eigen und mehr Verantwortung. Das braucht uns alle. Wenn wir das Privileg haben, das zu wissen, haben wir die Pflicht zu handeln.“
Inga Thao My Bui slamte für uns, Foto (links): Martin Hahn, rechts: Screenshot aus dem Livestream von OK:TV
Inga Thao My Bui krönte den Abend mit einem emotionalen Gedicht zu vielen „Werten“ unseres gesellschaftlichen Systems. My spricht vom „Gefühl, […] ich kann es nicht ändern, es passiert ja eh in anderen Ländern“; auch vom Gefühl, glücklich zu sein. Sie hielt uns den Spiegel vor: Können wir uns wirklich „noch mehr Glück kaufen“? Ertappen wir uns nicht auch dabei, wie wir denken: „Die anderen haben mehr – das ist nicht fair“? Oder macht uns Überfluss doch ganz leer? Die Künstlerin beschreibt ein bekanntes Schuldverständnis: „Wenn’s um Schuld geht, ist man’s nicht. Bei der Frage, wer war’s dann – ist es einfacher zu sagen, dass man selbst dafür nichts kann.“ Ein schöner Vergleich, angesichts der Begründung des Bundesverfassungsgerichts zu GG Artikel 20a: „Der Staat könnte sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen.“
„Geld und Macht führen uns ins Licht der Verblendung; man sieht nichts; außer sich, das Ego, ich. Und die anderen? Egal! Eine viel zu große Qual! Würd‘ ich mich damit befassen, würd ich mich ja nur noch hassen.“ Das ist ein spannender Kontrast von aktiven Menschen in der Klimabewegung und Menschen, die sich dieser – noch – fernhalten.
Schließlich erwarten wir gespannt das Ergebnis des Graphical Recordings von Regina Rullmann von Buntbüro, die bereits die Podiumsdiskussion im vergangenen Jahr (LINK: https://mainz.scientists4future.org/podiumsgespraech-klimakrise-ist-jetzt/) mit ihrer modernen graphischen Zusammenfassung bereichert hat.
Sobald Regina Rullmann ihr Kunstwerk fertig nachbearbeitet hat, werden wir es hier auf unserer Webseite präsentieren. Bleibt gespannt und uns treu – am besten, in dem ihr weiterhin regelmäßig unsere Kanäle in den sozialen Netzwerken abonniert, besucht und uns weiterempfiehlt. Ein herzliches Dankeschön schon einmal!
Was ist sonst noch passiert? Der Hörsaal war nur ein Schauplatz des Abends. Im Foyer standen zahlreiche Infostände vieler Mainzer Klimagruppen. So war genau das möglich: Austausch, Positionen teilen und voneinander lernen. Eines wird bei unser aller Engagement in der Klimabewegung immer stärker: Viel Ehrenamt, weniger Eigen und mehr Verantwortung führen zu einem eindrucksvollen positiven Gefühl, das tief aus dem Herzen kommt und sehr, sehr glücklich macht.
„Entspannt aber spannend“ – so sehen wir auch unser Selbstverständnis in der ehrenamtlichen Arbeit unserer Ortsgruppe. Ihr wollt mitgestalten und habt sogar einen Hochschulabschluss? Schreibt uns doch einfach an und kommt zum nächsten Gruppentreffen dazu. Falls ihr unsere weitere Arbeit auch finanziell unterstützen könnt und möchtet, können wir unser Ziel auch weiter in die Welt tragen: „informativ, aber nicht eskalativ und vor allem mitnehmend“ Klimaschutz und Wege in eine nachhaltige Zukunft beratend anbieten.